“Sei eine entspannte Mama in nur zehn Minuten”, “Die Mom-Formel: Zu mehr Gelassenheit in nur acht Schritten” und und und. Wer bei Facebook, Instagram und Co. unterwegs ist, wird es in letzter Zeit verstärkt mitbekommen haben: Es gibt mittlerweile gefühlt tausendundein wahnsinnig tolles Online-Seminar, eine irre Mama-Formel bestehend aus einer kryptischen Buchstabenkombination und andere geniale Tools, die Dir dabei helfen sollen binnen kürzester Zeit zur absolut relaxten, tiefenentspannten Supermutter zu werden. 

Liebe Mütter, ich verstehe, dass Ihr in schwierigen Phasen der Schwangerschaft oder auch in den Baby- und Kleinkindjahren händeringend nach etwas sucht, das  Euch den Alltag als Mama etwas erleichtert. Ich bin doch genauso. Wenn meine Lütte zahnt, sie mal wieder die Nächte zum Tag macht, weil erkältungsbedingt die Nase dicht ist oder die Wut in ihrem kleinen Bäuchlein vor sich hinblubbert und sie zu kurzen aber heftigen Trotzanfällen verleitet, dann bin ich auch versucht zu googlen, ob es nicht irgendeine Lösung für das Problem gibt. Dann recherchiere ich, ob ich vielleicht irgendetwas falsch mache. Ob alles einfacher wäre, wenn ich nur relaxter, entspannter oder cooler wäre.

Eitel Sonnenschein

Das Tükische: Man denkt ja oft, dass andere Mütter das alles viel besser hinbekommen als man selbst. Das liegt unter anderem auch daran, dass Menschen sich ungern die Blöße geben und sagen, dass bei ihnen gerade etwas doof läuft. Unsicherheiten und Schwäche geben die Wenigsten gerne zu. Vor allem nicht Mütter. Ein seltsames Phänomen übrigens. Wie viel leichter wäre das Leben manchmal, wenn die toughe, stets perfekt wirkende, schöne Nachbarin mit ihrem dreijährigen Sohn auch mal im Treppenhaus sagen würde, dass sie heute am liebsten schreiend in die Tischkante beißen würde, weil gerade alles so wahnsinnig anstrengend ist? Oder die gute Freundin mit ihrem Töchterchen, bei der es scheinbar nie kleinkindliche Wutanfälle gibt. Ich bin mir sicher, dass es auch dort manchmal zu kleinen Ausrastern kommt, wenn die Banane falsch geschält wird oder das Kind nicht mit Mamas Nagelschere spielen darf. Aber sie sagt es nicht. Bei meiner guten Freundin ist immer “alles super”. Eitel Sonnenschein. Behauptet sie. Wohlmöglich stimmt das auch aber so ganz glauben kann ich das nicht.

Das soll um Himmels Willen kein Aufruf zum kollektiven Gejammere werden. Keiner soll von Problemen berichten müssen, die gar nicht existieren, nur weil es andere beruhigt, dass jeder die gleichen Sorgen zuhause hat. Darum geht es nicht. Aber es tut wahnsinnig gut, wenn man weiß, dass man nicht alleine ist. Das bedeutet im Umkehrschluss nämlich immer auch: Man macht nichts falsch.

Warum dauerhafte Tiefenentspannung nicht in zehn Minuten mittels Formelanwendung entsteht

In den sozialen Netzwerken geistern gefühlt in letzter Zeit verstärkt sagenhaft und irgendwie magisch wirkende Anzeigen zur “Mom-Formel”, kostenlosen Online-Kursen und Ebooks rum, die Dir innerhalb von zehn Minuten zeigen sollen, wie Du so eine richtig coole, entspannte Mutti wirst. Eine, die auch noch sie selbst bleibt. Die alles unter einen Hut bekommt: Kind, Haushalt, Partnerschaft, Selbstverwirklichung und vor allem auch die eigenen Bedürfnisse.

Versteht mich nicht falsch. Ich finde das super. Als Mama muss man unbedingt auf die eigenen Bedürfnisse achten und versuchen alle Rollen, die man so hat gleichermaßen zu befriedigen. Letztlich propagiere ich hier nichts anderes. Aber ich glaube, dass man das nicht innerhalb von zehn Minuten in einem kostenlosen Webinar schafft oder indem man mal eben ein achtseitiges Ebook liest. Wäre das so, würden nur noch glückliche, relaxte Mütter auf diesem Planeten rumrennen.  Das ist aber leider nicht so. Und warum? Weil es letzen Endes so ist wie bei unseren Babys: Sie wachsen teilweise zwar verdammt schnell aber irgendwie braucht ihre Entwicklung dann eben doch eine ganze Weile bis sie so weit sind, dass sie selbstständig und sicher auf eigenen Beinen stehen können. Und genauso ist es vermutlich mit dem Mama-Sein. Wir können nicht von heute auf morgen immerzu tiefenentspannte, gelassene Mütter sein. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht. Zeit und ganz viel Übung. Erst wenn Dein Kind zwanzigmal Sand auf dem Spielplatz gegessen hat, kannst Du Dich beruhigt zurücklehnen und mit den Achseln zucken, weil Du weißt, dass das zwar irgendwie eklig ist aber Dein Kind vermutlich nicht umbringt. Hat es zumindestens die letzten 19 Mal auch nicht.

Die Sache mit dem Druck

Warum jetzt also dieser Beitrag? Nun, ich glaube, dass man sich ganz schön viel Druck macht, wenn man denkt, dass man nach der Teilnahme an den ganzen Mama-Workshops und der Lektüre besagter Bücher oder Artikel sofort perfekt ist. Wir werden niemals perfekt sein. Und das ist völlig okay. Es ist komplett legitim mal ungeduldig zu sein und aus der Haut zu fahren, wenn Dein Dreikäsehoch einfach nicht hört. Wir müssen nicht immer cool und gelassen sein. Wir dürfen auch mal ganz kurz helicoptern, wenn wir im Nachgang selbst merken, dass das jetzt vielleicht ein bisschen übertrieben war und wir es beim nächsten Mal dann vielleicht doch anders machen werden.

It’s all good

Der wunderbare Lars Amend hat ein schönes Buch mit dem großartigen Titel “It’s all good”. Und genauso ist es. Du bist Mama, um alles in Deinem Tempo zu lernen. Um genauso in aller Ruhe zu wachsen wie Dein Kind. Du würdest Deinem Baby ja auch nicht sagen, dass es doch bitte einfach kurz mal das eine Ebook über frühkindliche Entwicklung studieren soll und dann erwarten, dass es danach in vollständigen Sätzen mit Dir spricht. Also bitte, besuch ruhig Seminare, Workshops und lese, was Du möchtest aber stress Dich dabei nicht.

Statt Formeln: Annehmen was ist

Das Einzige, was wirklich immer zuverlässig hilft, ist akzeptieren was ist. Annehmen, was jetzt gerade in diesem Augenblick passiert. Alles was möglicherweise nicht so läuft, wie man sich das vorgestellt oder geplant hat. Weil ganz ehrlich: Das tut es mit Kindern ja nun wirklich eher selten. Egal wie gut der Plan war. Wenn man das tut, schießen einem irgendwann auch keine Tränen der Wut mehr in die Augen, weil das Kind nach anderthalb Stunden Einschlafbegleitung eben immer noch nicht schläft und man sich um seinen Feierabend betrogen fühlt. Da denkt man dann nur noch, dass das jetzt eben so ist. Dass alles genauso ist, wie es sein soll und das alles eine wunderbare Gelegenheit ist zu üben gelassen zu bleiben.

Kriegt man diesen gedanklichen Kniff hin, ist das die halbe Miete. Aber auch das klappt nur mit…? Na? Genau, mit ganz viel Übung. In diesem Sinne: “It’s all good”.

Buchtipp:

Definitiv keine klassische Lektüre für Eltern aber trotzdem verdammt gut: “It’s all good” von Lars Amend.